Johannes Kühn

Galerie der Zeichnungen

Eine Auswahl aus dem bildkünstlerischen Schaffen Johannes Kühns – mit Erläuterungen von Francis Berrar

Neben rund 30.000 Gedichten hat Johannes Kühn auch eine große Zahl von Zeichnungen hinterlassen, die er mit Filzstiften in vielen Farben aufs Papier warf. Er tat dies vor allem in „der Zeit des großen Schweigens“, zwischen 1984 und 1992, als er seine lyrische Produktion weitgehend eingestellt hatte. Nur wenig war bis dahin von ihm veröffentlicht worden. Seinen Durchbruch, der 1990 auf die Herausgabe des Gedichtbands „Ich Winkelgast“ folgte, hatte er damals noch vor sich. Die Hinwendung zum Zeichnen betrachtete Johannes Kühn als Akt der Befreiung und Erholung. Bald wurden Fachleute auf seine Bildwerke aufmerksam und organisierten erste Ausstellungen. Vor allem war es der Maler und Zeichner Francis Berrar aus Überherrn (Saar), der sich intensiv und über Jahre hin mit dem bildkünstlerischen Schaffen Johannes Kühns auseinandersetzte. Ihn faszinierte „die unvergleichliche, authentische Bildsprache“ des Autors. Sorgfältig analysierte, interpretierte, ordnete und digitalisierte Berrar die Zeichnungen, deren Zahl zunächst auf 3.000 geschätzt wurde; sie befinden sich im Archiv der Johannes-Kühn-Gesellschaft. Im Jahr 2024 jedoch, nach Kühns Tod, kam eine Sammlung von schätzungsweise 8.000 weiteren Zeichnungen ans Licht, die sich im Besitz der Lebacher Familie Gitzinger befindet. Kühn hatte sie der Familie geschenkt; in seiner Jugend hatte er die Mutter stürmisch verehrt, wie ihr Sohn Georg Gitzinger mitteilte. Beide Eltern waren danach Vertraute des Dichters. Auch diese Sammlung wird von Francis Berrar fachlich betreut.

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Zeichnungen 1983 - 1992
je 29cm X 20,5cm
Filzstift auf Papier


Francis Berrar

Eine andere, verrückte Schönheit

Zu den Zeichnungen von Johannes Kühn

Von Johannes Kühn, bekannt und bedeutend als Lyriker, kennen wir eine enorm große Anzahl von Gedichten, hinausgeschleudert aus seinem Kopflabor, das nie zu versiegen schien.

In den Jahren 1983 bis 1993 macht sich der Lyriker still und unbemerkt daran, erste Zeichnungen zu fertigen. Betrachtet man die Zeichnungen der Anfangsphase, so zeigen diese eindringlich einen neuen und beschwerlichen Weg: das Ringen um Form und Linie, die Organisation von Raum und Fläche und das Vertrauen in Stift und Papier. Er selbst spricht sehr nüchtern über diese Zeit, nennt sie eine große Erholung, in der sich „das verklungene und ausgelöschte Temperament regenerieren kann“.

Damals findet und entdeckt Johannes Kühn eine andere Sprache. Indem er zeichnet, leistet er mutig Widerstand gegen angreifende Lethargie und Schwermut, überwindet Resignation, Einsamkeit und dunkle Schatten. Aus einem Chaos von Strichbündeln, Linienpaketen und zarten Lineaturen findet er plötzlich die Linie, die ihn herausführt aus der inneren Leere und die ihn nicht mehr loslässt. Anfangs ist es eine durchgehende Linie, noch gelenkt durch das Prinzip des Zufalls, die zum Umriss wird und schließlich zur Figur. Die Gegenwart der Linie gibt ihm Vertrauen, und rauschhaft lässt er sich hineinziehen in diese Gegenwelt.

Ein gütiges Feuer war angezündet in seinem Kopf. Klar und sehr entschieden macht er sich auf einen neuen Weg und erschafft sich einen ureigenen Bildkosmos, erobert sich Raum für seine bunten Fantasien. „Mit ihnen leb ich trostreich im Farbenrausch der Kindheitswesen.“ Er wird zeichnend immer sicherer und entscheidet sich sehr schnell für die grelle und signalisierende Farbwirkung von Filzstiften. Dabei scheint ihn nicht zu stören, dass deren Empfindlichkeit gegenüber heutiger Lichtbestrahlung äußerst hoch ist. Er habe nicht mit „Ewigkeitsmitteln wie Öl und Farbe“ arbeiten wollen.

Obwohl sich seine Farbpalette aus knalligen Farben rekrutiert und die Filzstifte nicht geeignet sind, sich untereinander zu mischen, besitzt Kühn die sensible Fähigkeit, in allen Zeichnungen Farbwirkungen auszutarieren und gelungene und ungewöhnliche Farbharmonien herzustellen.

Die besondere Faszination von Kühns Kunst liegt aber in seiner Fähigkeit, einen stark grafischen Stil mit viel Fantasie zu kombinieren. Ähnlich wie in seinen Gedichten schöpft er aus dem Archiv seiner persönlichen inneren Bildwelt und findet so die Module seiner Kunst.

Die große Masse der Zeichnungen führt uns seine exzessive Arbeitsweise vor Augen; wie aus einem Guss steht das Ergebnis. Früh lassen sich seine Themen erkennen: Mensch, Mensch und Baum, Porträt und Büste, die Figur des Todes und ebenso hundertfach: das Tier. Seine Tierbilder zeigen Mischwesen, die als Pferd, Vogel, Reh und Schlange wie geklonte Wesen immer wieder neu erschaffen und erfunden werden, treu begleitet von seiner Maxime: „Die Freundschaften zwischen Mensch und Tier erwärmen immer noch Gemüter.“

Der schnelle und flüssige Verlauf konstant breiter Linien und das komplexe Formenrepertoire sind die charakteristischen Eigenschaften für die unmittelbare Wirkung seiner Zeichnungen, die gänzlich ohne Licht und Schattenreflexe auskommen. Flächenbereiche entstehen durch Anhäufungen von Kreuz-und-quer-Schraffuren. Seine Figuren und Formen unterliegen fortwährenden Wandlungen und endlosen Variationen. Und innerhalb seines Werkes vollzieht sich eine kontinuierliche stilistische Weiterentwicklung. Die spielerische Geläufigkeit, mit der Johannes Kühn seine Zeichnungen produziert, ist erstaunlich; das Volumen seiner Produktivität überfordert den staunenden Betrachter.

Johannes Kühn zeichnet für den Augenblick und findet so unendliche Befriedigung und inneren Frieden. Das Zeichnen befähigt ihn, glücklicher zu sein, als wir es vermögen.


Riesenschmetterling in der Hand,
meine Zeitung,
damit fliege ich weit.


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